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So´n neumoderner Kram, neeee….

„Wat de Buer nich kennt, dat frett he nich“ heißt es im norddeutschen Sprachraum: Was der Bauer nicht kennt, das frisst er nicht.
Oft trifft das auch auf den Geschmack von SeniorInnen zu: Sie erleben vieles als zu laut, zu wild, zu albern, zu „neumodern“. Entsprechend lehnen sie häufig Angebote ab, die den Rahmen des Üblichen verlassen.
Wer dennoch versucht, mit unbekannten Methoden einen neuen Blickwinkel für die hochbetagten Menschen zu öffnen, kann überraschend Glück haben: Unkonventionelle Ideen fruchten dann, wenn die Teilnehmenden sich respektiert und wertgeschätzt fühlen. Wenn die Gruppenstunde ausreichend Vertrautes bietet, sodass neue Elemente als erfrischende Möglichkeit wahrgenommen und nicht als Bedrohung des status quo eingestuft werden. Wenn ich als Anleitung mitreißend einlade, aber Raum für Zurückhaltung, Schüchternheit oder Ablehnung lasse.

Nachdem ich lange Zeit keine Atemschriftzeichen (basierend auf der Methode von Clara Schlaffhorst und Hedwig Andersen) anbot, weil ich massive Ablehnung fürchtete, traute ich mich eines Tages doch. Atemschriftzeichen verbinden eine unendliche, fließende Bewegung mit dem Sprechen eines Spruchs oder Gedichts. Dabei verbinden sich Atem, Sprechen und Bewegung zu einem gemeinsamen Rhythmus. Natürlich nahm ich eine sehr einfache Form, in diesem Fall eine endlose Spirale, die mit dem Arm in die Luft gezeichnet wurde. Als Gedicht wählte ich ein sehr bekanntes, das den SeniorInnen sympathisch war und Raum zur Identifikation bot: „Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen“ von Rilke.
Wir rezitierten das Gedicht langsam als Gruppe und bewegten dazu gleichmäßig den Arm in einer durchlaufenden Spirale. Wer mochte, wechselte jeweils nach drei Zeilen den Arm, damit es nicht zu Verkrampfungen im Schultergelenk kam.
Und siehe da: Von niemandem hörte ich den Kommentar „neumoderner Mist“ oder „Spökenkram“ (norddeutsch für esoterischer Quatsch), alle waren ganz begeistert und berührt von der Verbindung des Inhalts mit dem endlosen Fluss der Spirale.
Also entwickelte ich weitere Kombinationen aus sehr reduzierten Atemschriftzeichen mit Gedichten, die SeniorInnen kennen und lieben. Da die meiste Literatur aus kindgemäßen Sprechzeichen mit niedlichen Versen besteht, freue ich mich immer wieder über neue gute Einfälle.
Wer sich für mein Material interessiert:
Atemschriftzeichen „Kreis“ zu „Das Fräulein stand am Meere“
Atemschriftzeichen „Liegende Acht“ zu „In Hamburg lebten zwei Ameisen“, außerdem Spirale und Rilke-Gedicht auf der zweiten Seite
Atemschriftzeichen „Schale“ zu „Schneeflöckchen, Weißröckchen“
Atemschriftzeichen „Schiffchen“ zu „Winde wehn, Schiffe gehn“

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